Montag, 4. Dezember 2017

die grosse Liebe

Sie lernten sich vor etwa 10 Jahren kennen, er war damals über 40, sie knapp 20. Aus täglichen Begegnungen an der Bushaltestelle wurde schliesslich Freundschaft. Mehrere Jahre pflegten sie diese Freundschaft und man kann sagen, es war eine tiefe Freundschaft. Eines Tages klagte sie über Schmerzen im Rücken und er bot an, ihren Rücken zu massieren. Diese während dieser Massage drehte sie sich auf den Rücken und meinte, sie hätte gern das "volle Programm". Dieses "volle Programm" wurde ein fester Bestandteil ihrer Freundschaft. Sie wollte einmal sogar als "Untermieterin mit Benefiz" bei ihm einziehen. Dies wollte er aber nicht, weil sie ihm gesagt hatte: "Wenn ich 10 Jahre älter wäre, würde ich Dich sofort heiraten." Diese Schwelle des Altersunterschieds zwischen ihnen, das war ihm klar, würde ihn auf Dauer nicht glücklich machen, so   bremste er an dieser Stelle.
Schliesslich verliebte sie sich in einen anderen und die Freundschaft schlief ein. Vier Jahre war totale Sendepause.
Urplötzlich liess sie wieder von sich hören. Die Freundschaft war noch immer da, als ob keine Minute in diesen Jahren fehlen würde. Nur wurde sie noch tiefer. Sie rief ihn als erstes am Morgen an, noch im Bett liegend, Oder sie schickte ihm Grussvideos, den Schlaf noch im Gesicht. Tagsüber waren sie oft stundenlang am Telefon und plauderten über alles und nichts. Manchmal waren sie in der Leitung, sagten nicht mal viel, die Anwesenheit des anderen reichte. Abends war es der letzte Anruf, bevor sie schlafen gingen. Manchmal schliefen sie mit der Stimme des anderen im Ohr ein.
Das ganze fühlte sich an, wie eine tiefe Liebesbeziehung. Man fühlte sich, auch wenn sie sich gerade nicht hörten. Sie feierten Geburtstag zusammen, er richtete Ihr ein romantisches Dinner, er war für sie da, wann immer sie ihn brauchte, umgekehrt auch. Auch das Intimleben stellte sich wieder ein.
Nach aussen hatten viele das Gefühl, dass die beiden ein Liebespaar waren.
Schliesslich hielt er es nicht mehr aus und gestand ihr seine Liebe. Wieder war das Thema Altersunterschied da. Er akzeptierte es, auch wenn er nicht verstehen konnte, wie sie ein dermassen vertrautes und beziehungsähnliches Verhältnis haben konnten, wenn sie sich am Altersunterschied so störte.
In den nächsten Wochen wollte er Klarheit, wie seine Zukunft mit ihr aussehen würde. Er begann, ihr Verhalten zu beobachten. An ihrem Zusammensein änderte sich kaum was. Sie rückte immer ganz eng zu ihm, wenn sie auf dem Sofa sassen. Sie flirtete mit ihm, wann immer es Gelegenheit gab, sie holte sich Zärtlichkeiten ab, wann immer es ihr danach war. Die ersten und die letzten Worte des Tages wechselte sie mit ihm.
Er konnte ihr Verhalten nicht verstehen. Spielte sie mit ihm? Fühlte sie wirklich so, wie sie sich ihm gegenüber verhielt?
Schliesslich, als er sie wieder mal im Arm hielt, sagte er ihr wieder, dass er sie liebe. Sie wies ihn erneut ab und meinte, mehr als diese "Freundschaft" werde es nie geben.
Er hatte damit gerechnet und setzte sich anschliessend hin, um ihr in einem E-Mail seine Gedanken und Erlebnisse, Feststellungen und Gefühle zu schreiben. Auch, dass er so die Freundschaft nicht weiterführen wollte.
Er konnte es nicht ertragen, von ihr dermassen in Versuchung geführt zu werden. Jedesmal wenn sie sich ihm gegenüber dermassen vertraut verhielt und mit ihren Berührungen zum Wahnsinn trieb, musste er mit sich kämpfen, nicht seinen Gefühlen nachzugeben. Und dass sie nach einem Nachmittag voller Erotik dann abends mit einem anderen ausgehen wollte, den sie unbedingt ins Bett kriegen wollte, tat ihm auch nicht gut. Also beendete er die Freundschaft.

Was er da nicht verstand und auch nie verstehen wird ist, wie kann man eine dermassen partnerschaftsähnliche Freundschaft führen? Bis auf das Eingeständnis, dass es eben doch Liebe war, fühlte sich auch von ihrer Seite her alles wie eine wundervolle Partnerschaft an. Diese Frage wird er wohl nie verstehen, nur, dass offenbar Äusserlichkeiten wie in diesem Fall der Altersunterschied, sehr wohl für eine Beziehung matchentscheidend sind und nicht die vielbeschworenen inneren Werte!

Bist Du also auf der Suche nach der perfekten Partnerschaft, musst Du Dir selber Gedanken machen ob Du nicht solchen Äusserlichkeiten verhaftet bist und dabei die Liebe Deines Lebens vorbeiziehen lässt.

Freitag, 23. Juni 2017

Gruppen

Vor vielen Jahren, ich war 16, sass ich mit meinen Schulfreunden einmal mehr auf der grossen Treppe. Diese Treppe, im Volksmund "Chilestäge" genannt, war schon seit langem Treffpunkt für die Jungen, die nach der Schule, an schulfreien Nachmittagen oder am Wochenende dort in der Sonne sassen. Dabei wars Wurst, ob es schön warm oder arschkalt war, man war einfach da.
Es gab noch keine Handys, das Internet noch nicht mal in irgend einem Kopf vorhanden. Man traf sich da einfach so, wie es halt damals üblich war.
Wir sassen meist am linken, oberen Rand der Treppe, ein anderes Grüppchen unter uns, ein weiteres in der Mitte, wieder andere am anderen Rand. Man kannte sich vom sehen, das wars dann aber schon. Weil vor allem eine Gruppe, die Leute vom "Hammer", mieden den Kontakt zu den andern, vielleicht war es auch umgekehrt. Im "Hammer" verkehrte damals jeder, der Drogen kaufen wollte, dafür aber nicht nach Zürich ins AJZ fahren wolle. Drogen waren damals schon verrufen und wir eher unbedarften hatten eigentlich ein wenig Angst vor denen, die sich damit abgaben. So sass diese Gruppe meist abseits.
Schon seit einiger Zeit war mir in dieser Gruppe ein Mädchen aufgefallen. Rothaarig, braune Augen, Sommersprossen, aber ein sehr trauriger Gesichtsausdruck. Sie sass in dieser Gruppe, schien aber irgendwie doch nicht so recht dazu zu gehören.
Heimlich beobachtete ich sie immer wieder, sie gefiel mir aber niemals hätte ich den Mut aufgebracht, zu ihr hinüber zu gehen und sie anzusprechen. Niemand aus unserer Gruppe hätte das getan. So beobachtete ich sie halt und das wars.
Ich weiss nicht mehr, war es Juni oder Juli, ich war mit einer Klausur etwas früher fertig geworden und hatte bereits gehen können. Also pilgerte ich zur "Chilestäge" und holte mir auf dem Markt einen Apfel, denn ich dann dort essen wollte.
Ich setzte mich in die gewohnte Ecke und wie üblich blickte ich zu der anderen Gruppe hinüber, die immer dort zu sitzen schien.
Sie war auch da, aber diesmal stand sie auf, kam zu mir und setzte sich. "Darf ich abbeissen?" Diese Worte vergesse ich nie wieder und auch nicht Ihre Augen. Ich war wie betäubt, hielt ihr aber den Apfel hin und sie drehte in in den Händen. Dann schien sie die passende Stelle gefunden zu haben und sie knabberte ein bisschen vom Apfel ab. Dann gab sie ihn mir wieder. Ich war einfach wie ein Pfahl da gesessen und hatte nur doof geglotzt. Sie stand auf und drehte sich um und wollte wieder weggehen.
Erst jetzt hatte ich das Gefühl, zu erwachen und ich zupfte an ihrer Tasche, das einzige, was ich noch erreichen konnte. "Bleib bitte," sagte ich. Sie blieb stehen und drehte sich um. Dann setzte sie sich wieder und fragte: "Warum?"
Ich fühlte mich wieder wie blockiert und sie wollte wieder aufstehen, als ich völlig unvermittelt sagte: "Weil ich Dich mag".
Sie wurde leicht rot und schüttelte den Kopf. Dabei fiel mir erst auf, wie lang ihre Haare waren. Sie reichten im Sitzen fast bis zur Treppenstufe, auf der sie sass.
"Ich glaube Dir das nicht", sagte sie und stand auf. "Sag mir das morgen nochmal." Sie stand einen Moment vor mir und ich fragte: "Möchtest Du den Apfel haben?" Nun grinste sie verschmitzt und nickte. Sie wollte nach dem Apfel greifen aber ich hielt ihre Hand fest. Dann biss ich ebenfalls in den Apfel und gab ihn ihr.
Als sie wieder zu ihrer Gruppe zurück ging, schaute ich ihr nach und freute mich insgeheim beim zusehen, wie sie den Apfel ass.