Freitag, 23. Juni 2017

Gruppen

Vor vielen Jahren, ich war 16, sass ich mit meinen Schulfreunden einmal mehr auf der grossen Treppe. Diese Treppe, im Volksmund "Chilestäge" genannt, war schon seit langem Treffpunkt für die Jungen, die nach der Schule, an schulfreien Nachmittagen oder am Wochenende dort in der Sonne sassen. Dabei wars Wurst, ob es schön warm oder arschkalt war, man war einfach da.
Es gab noch keine Handys, das Internet noch nicht mal in irgend einem Kopf vorhanden. Man traf sich da einfach so, wie es halt damals üblich war.
Wir sassen meist am linken, oberen Rand der Treppe, ein anderes Grüppchen unter uns, ein weiteres in der Mitte, wieder andere am anderen Rand. Man kannte sich vom sehen, das wars dann aber schon. Weil vor allem eine Gruppe, die Leute vom "Hammer", mieden den Kontakt zu den andern, vielleicht war es auch umgekehrt. Im "Hammer" verkehrte damals jeder, der Drogen kaufen wollte, dafür aber nicht nach Zürich ins AJZ fahren wolle. Drogen waren damals schon verrufen und wir eher unbedarften hatten eigentlich ein wenig Angst vor denen, die sich damit abgaben. So sass diese Gruppe meist abseits.
Schon seit einiger Zeit war mir in dieser Gruppe ein Mädchen aufgefallen. Rothaarig, braune Augen, Sommersprossen, aber ein sehr trauriger Gesichtsausdruck. Sie sass in dieser Gruppe, schien aber irgendwie doch nicht so recht dazu zu gehören.
Heimlich beobachtete ich sie immer wieder, sie gefiel mir aber niemals hätte ich den Mut aufgebracht, zu ihr hinüber zu gehen und sie anzusprechen. Niemand aus unserer Gruppe hätte das getan. So beobachtete ich sie halt und das wars.
Ich weiss nicht mehr, war es Juni oder Juli, ich war mit einer Klausur etwas früher fertig geworden und hatte bereits gehen können. Also pilgerte ich zur "Chilestäge" und holte mir auf dem Markt einen Apfel, denn ich dann dort essen wollte.
Ich setzte mich in die gewohnte Ecke und wie üblich blickte ich zu der anderen Gruppe hinüber, die immer dort zu sitzen schien.
Sie war auch da, aber diesmal stand sie auf, kam zu mir und setzte sich. "Darf ich abbeissen?" Diese Worte vergesse ich nie wieder und auch nicht Ihre Augen. Ich war wie betäubt, hielt ihr aber den Apfel hin und sie drehte in in den Händen. Dann schien sie die passende Stelle gefunden zu haben und sie knabberte ein bisschen vom Apfel ab. Dann gab sie ihn mir wieder. Ich war einfach wie ein Pfahl da gesessen und hatte nur doof geglotzt. Sie stand auf und drehte sich um und wollte wieder weggehen.
Erst jetzt hatte ich das Gefühl, zu erwachen und ich zupfte an ihrer Tasche, das einzige, was ich noch erreichen konnte. "Bleib bitte," sagte ich. Sie blieb stehen und drehte sich um. Dann setzte sie sich wieder und fragte: "Warum?"
Ich fühlte mich wieder wie blockiert und sie wollte wieder aufstehen, als ich völlig unvermittelt sagte: "Weil ich Dich mag".
Sie wurde leicht rot und schüttelte den Kopf. Dabei fiel mir erst auf, wie lang ihre Haare waren. Sie reichten im Sitzen fast bis zur Treppenstufe, auf der sie sass.
"Ich glaube Dir das nicht", sagte sie und stand auf. "Sag mir das morgen nochmal." Sie stand einen Moment vor mir und ich fragte: "Möchtest Du den Apfel haben?" Nun grinste sie verschmitzt und nickte. Sie wollte nach dem Apfel greifen aber ich hielt ihre Hand fest. Dann biss ich ebenfalls in den Apfel und gab ihn ihr.
Als sie wieder zu ihrer Gruppe zurück ging, schaute ich ihr nach und freute mich insgeheim beim zusehen, wie sie den Apfel ass.

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